05.02.2021

Stimmung droht zu kippen

Beschäftigte zunehmend verunsichert und belastet

Nach einer leichten Erholung über den Sommer ist der Arbeitsklima Index im vierten Quartal auf 105 Indexpunkte abgesackt. Die Beschäftigten haben deutlich mehr Stress als vor der Krise.

Die österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der aktuellen Krise deutlich verunsicherter als während der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Damals sank der Arbeitsklima Index, der anhand verschiedener Indikatoren die Zufriedenheit der Beschäftigten misst, von 112 auf 108 Punkte. Derzeit liegt er, wie schon im Frühjahr 2020 bei 105 Indexpunkten – um 5 Punkte niedriger als vor einem Jahr.

Psychischer Stress stark gestiegen

Diese Bewegungen belegen neuerlich, dass der Arbeitsklima Index ein hoch sensibles, valides und einzigartiges Instrument zur Beschreibung des wirtschaftlichen und sozialen Wandels ist. Die einzelnen Indikatoren, die in ihrer Gesamtheit den Arbeitsklima Index ergeben – wie etwa die Zufriedenheit mit dem Einkommen, die Arbeitsbelastungen oder die Zukunftsperspektiven – haben sich im vergangenen Jahr (mit wenigen Ausnahmen) verschlechtert. Die deutlichste Veränderung war beim psychischen Stress zu beobachten. Dieser ist von 26 auf 34 Punkte (plus 31 Prozent) gestiegen. Höherer Zeitdruck und emotionale Belastungen führten bei vielen Beschäftigten, insbesondere in den systemrelevanten Berufen, zu einer deutlich geringeren Arbeitszufriedenheit.

Zu wenig Schutz vor dem Virus

Auch die körperlichen Belastungen und der Stress, sich auf neue Arbeitsinhalte und Anforderungen einstellen zu müssen, haben zugenommen. Hinzu kommt, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte der Pflegebeschäftigten, Lehrer/-innen oder Kindergartenpädagogen/-innen über mangelnden Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus klagten. Auch das hat sich stark auf ihre (schlechte) Stimmung ausgewirkt.

Auf der anderen Seite sind die optimistischen Zukunftsaussichten der Beschäftigten auf die wirtschaftliche Entwicklung sowie den Arbeitsmarkt merklich geschwunden. 82 Prozent glauben, dass diese Krise den Arbeitsmarkt dauerhaft verändern wird. Ein Drittel sieht die Arbeitsplätze in Österreich in Gefahr.

Die Schere geht weiter auf

Ein Fünftel der Beschäftigten fühlt sich angesichts der Corona-Krise in der Existenz bedroht. Gleichzeitig ist die Zufriedenheit mit den Einkommen noch relativ stabil. Das deutet darauf hin, dass viele Arbeitnehmer/-innen froh sind, überhaupt noch einen Job und ein Einkommen zu haben. Die Kluft zwischen denen, die kaum mehr

mit ihrem Lohn oder Gehalt auskommen, und jenen, die auch in der Krise ihre sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätze behalten haben, wird größer.

Veränderungen einzelner Indikatoren des Arbeitsklima Index (2019 – 2020, in Indexpunkten)

Grafik: Veränderungen einzelner Indikatoren des Arbeitsklima Index

MEHRFACH BELASTET

Physischer und psychischer Stress nehmen in der Krise zu

Das Jahr 2020 brachte für viele Beschäftigte neue berufliche Herausforderungen. Besonders in den systemrelevanten Berufen sind die Belastungen gestiegen.

Der Arbeitsklima Index misst vier verschiedene Belastungsfaktoren: psychischen Stress, physischen Stress, Isolation und Innovations-Stress. Die aktuelle Auswertung zeigt, dass sich zwölf Prozent aller österreichischen Beschäftigten in allen vier Bereichen überdurchschnittlich stark belastet fühlen. Das sind vor allem Arbeiter/-innen, vorwiegend in der Industrie, im Gewerbe oder am Bau, sowie Beschäftigte in Zustelldiensten oder in der Pflege. In den beiden letztgenannten Berufen fühlt sich jeweils rund ein Viertel der Arbeitnehmer/-innen mehrfach stark belastet.

Hoher Zeitdruck

Jene Berufsgruppen, die sich in der Krise als unverzichtbar herausgestellt haben, wie etwa Pflegekräfte, Handelsangestellte oder Reinigungskräfte, fühlten sich im vergangenen Jahr deutlich stärker belastet als im Jahr zuvor. In den systemrelevanten Berufen stieg etwa der Anteil der Beschäftigten, die unter Zeitdruck leiden, innerhalb eines Jahres von 21 auf 32 Prozent. Auch die emotionale Belastung, die Verletzungsgefahr und der Arbeitsdruck nahmen zu – und zwar in stärkerem Ausmaß als in nicht-systemrelevanten Berufen.

Neue Arbeitsbelastungen

Dazu kamen völlig neue Arbeitsbelastungen, wie etwa die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus: Jede bzw. jeder siebte systemrelevante Beschäftigte fühlte sich nicht ausreichend geschützt. Ein Fünftel musste neue Aufgaben außerhalb des eigenen Arbeitsbereiches übernehmen, ein Viertel hatte Probleme, sich in dieser Ausnahmesituation auf die Arbeit zu konzentrieren.

KOMMENTAR VON DR. JOHANN KALLIAUER

Präsident der AK Oberösterreich

Der Arbeitsklima Index bringt einige Begleiterscheinungen der Krise zum Vorschein, die Aufmerksamkeit verdienen: Die Zufriedenheit der Beschäftigten sinkt – und zwar in beinahe allen Dimensionen ihrer Arbeit. Dass die Menschen mit ihrem Einkommen noch halbwegs auskommen, ist ein schwacher Trost, weil es zugleich aufzeigt, dass die Schere zwischen sicheren, gut bezahlten und unsicheren, prekären Jobs weiter aufgeht. Viele, die ihre Arbeit verloren haben oder in Kurzarbeit sind, leben von ihrem Ersparten.

Die Arbeitsbelastungen steigen, vor allem die Systemerhalter/-innen haben Stress und bekommen dafür ein bisschen Applaus, aber wenig echte Anerkennung. Viele, die unter mehrfachen Belastungen stöhnen, glauben nicht, dass sie es bis zur Pension schaffen. Ihnen wird die Arbeit zu viel.

Darum ist es höchste Zeit, die Krise als Chance zu nutzen und an mehreren Stellschrauben zu drehen. Erstens braucht es eine gerechte Verteilung von Arbeit und Einkommen. Zweitens sollten die Erkenntnisse aus der Kurzarbeit genutzt werden – Arbeitszeitverkürzung funktioniert, nimmt Arbeits- und Zeitdruck heraus und ermöglicht, die Arbeit auf mehr Köpfe zu verteilen. Drittens braucht es eine Entschleunigung des Arbeitsprozesses. Und viertens müssen psychische Belastungen bei der Zuerkennung der Schwerarbeitspension berücksichtigt werden.

BIS ZUR PENSION?

Mehrfach stark Belastete zweifeln, ob sie durchhalten

Je höher und je vielschichtiger die Arbeitsbelastungen, desto mehr stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer/-innen ihren derzeitigen Job bis zur Pension ausüben können.

Wer wann in Pension gehen darf, hängt nicht nur vom Alter und der Dauer der Beschäftigung ab, sondern unter bestimmten Umständen auch von der Schwere der Tätigkeit. Die Schwerarbeitspension nimmt allerdings nur Rücksicht auf körperliche Belastungen und äußere Einflüsse, wie etwa Nachtarbeit, Hitze, Kälte oder die Arbeit mit gefährlichen Stoffen.

Stress wird nicht berücksichtigt

Die im Arbeitsklima Index beschriebenen psychischen Belastungen, Innovations-Stress oder Isolation finden bei der Zuerkennung einer Schwerarbeitspension keine Berücksichtigung. Zu Unrecht, wie der Index zeigt: Denn Beschäftigte mit mehrfach starker Belastung glauben viel häufiger, dass sie nicht im derzeitigen Job bis zur Pension durchhalten. Sechs von zehn Beschäftigten, die mehrfach stark belastet sind, und sogar zwei Drittel der über 45-Jährigen mit starker Belastung halten es für ziemlich oder sehr unwahrscheinlich bis zur Pension durchzuhalten. Unter allen anderen Beschäftigten sind es „nur“ 38 Prozent.

So könnte es gehen

Um ihren Beruf langfristig und bis zum gesetzlichen Pensionsalter ausüben zu können, wünscht sich etwas mehr als die Hälfte der mehrfach stark belasteten Beschäftigten eine Verringerung der Stressfaktoren, also weniger psychische Belastung. Fast ebenso viele glauben, dass sie es mit einer kürzeren Arbeitszeit (also in Altersteilzeit oder mit einer Vier-Tage- Woche) schaffen können, bis 60/65 durchzuhalten. 43 Prozent wünschen sich gesundheitsfördernde Maßnahmen, um die Belastungen zu reduzieren. Ganz am Ende der Wunschliste: Nur vier Prozent halten Veränderungen in ihrem privaten Umfeld für hilfreich, um bis zur Pension durchhalten zu können.

Was würde stark Mehrfachbelasteten helfen, den Job bis zur Pension auszuhalten?

DER ARBEITSKLIMA INDEX

Die Sicht der Beschäftigten wird in wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussionen viel zu wenig berücksichtigt. Auch, weil es vermeintlich zu wenig gesicherte Daten dazu gibt. Der Österreichische Arbeitsklima Index liefert seit 24 Jahren diese Daten und ist so ein Maßstab für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel aus Sicht der Arbeitnehmer/-innen. Er untersucht deren Einschätzung hinsichtlich Gesellschaft, Betrieb, Arbeit und Erwartungen. Der Arbeitsklima Index erfasst die subjektive Dimension und erweitert so das Wissen über wirtschaftliche Entwicklungen und ihre Folgen für die Gesellschaft.

Die Berechnung des Arbeitsklima Index beruht auf vierteljährlichen Umfragen unter österreichischen Arbeitnehmern/-innen. Die Stichprobe von rund 4.000 Befragten pro Jahr ist repräsentativ, sodass daraus relevante Schlüsse über die Befindlichkeit aller Arbeitnehmer/-innen gezogen werden können. Der Arbeitsklima Index wird zweimal jährlich berechnet und veröffentlicht. Mehrmals pro Jahr gibt es auch Sonderauswertungen.

Online-Erhebung

Als Instrument zur Messung der subjektiven Sichtweisen der Beschäftigten trägt der Arbeitsklima Index zu einem besseren Verständnis der Auswirkungen des Coronavirus auf die Arbeitswelt bei. Daher wurde der Fragenkatalog um rund 15 Fragen zur aktuellen Situation erweitert. Um die Sicherheit der Interviewer/-innen und der Befragten zu gewährleisten, wurde die Hälfte der Befragungen online durchgeführt:

WENIGER ARBEITSZEIT

2020 waren 1,16 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit

Durch Lockdowns, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Freistellungen ging das Arbeitsvolumen in Österreich in der Corona-Krise merklich zurück.

Mit Ausbruch der Corona-Krise im März 2020 sind sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch das Volumen der geleisteten Arbeitsstunden deutlich gesunken. Dieser Rückgang hat mehrere Gründe: Zum einen die gestiegene Arbeitslosigkeit, zum zweiten den breiten Einsatz der Kurzarbeit und zum dritten den Abbau von Zeitguthaben, Freistellungen sowie ein (branchenspezifischer) Rückgang der Überstunden.

Rekordarbeitslosigkeit

Im Jänner waren laut AMS fast 536.000 Menschen arbeitslos oder in einer Schulung – mehr als je zuvor. Rund ein Siebtel der Arbeiter/-innen hat seit März 2020 den Job verloren. Das sind häufig Menschen mit Pflichtschul- oder Lehrabschluss. Besonders alarmierend ist der Anstieg der Zahl der Langzeitarbeitslosen um 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Zuletzt hatte schon fast ein Drittel aller Arbeitslosen bereits seit sechs Monaten oder länger keinen Job – Tendenz stark steigend.

Über das gesamte Jahr 2020 verteilt befanden sich etwa 1,16 Mio. Menschen in Österreich zu irgendeinem Zeitpunkt in Kurzarbeit – nach Branchen betrachtet am häufigsten im Tourismus (38 Prozent der Beschäftigten), gefolgt vom Handel (28 Prozent), Industrie und Gewerbe (inkl. Bau; 27 Prozent) sowie unternehmensnahen Dienstleistungen (25 Prozent).

Beschäftigte in Kurzarbeit kommen mit dem Einkommen nicht aus

FOLGEN DER KURZARBEIT

Mit der Kurzarbeit wurden hunderttausende Arbeitsplätze gesichert. Damit konnte ein noch gravierender Anstieg der Arbeitslosenzahlen vermieden werden. Im Vergleich zu Arbeitslosen kommen Personen in Kurzarbeit deutlich besser mit ihrem Einkommen aus und fühlen sich auch viel seltener in ihrer Existenz bedroht.

Der Rückgang der durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden um ca. zwei Stunden geht zum großen Teil auf Kurzarbeit zurück. Sie hatte indirekt den Effekt einer Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich. Spannend wird die Frage, ob sich die Kurzarbeit nachhaltig auf die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten auswirkt. Schon bisher wollten viele Vollzeitkräfte in Österreich weniger und Teilzeitkräfte mehr Stunden arbeiten als vertraglich vereinbart.

Kurzarbeit hat aber auch ihre Schattenseiten: Mit zunehmender Dauer trüben sich die Aussichten der Betroffenen ein. Viele müssen seit Monaten auf einen Teil ihres früheren Einkommens verzichten. Während 43 Prozent der regulär Beschäftigten mit ihrem Einkommen kaum oder gar nicht auskommen, sind es bei Personen in Kurzarbeit 55 Prozent. Dazu kommt, dass viele langsam den Optimismus verlieren. Blickten im Mai 2020 noch 83 Prozent der Kurzarbeiter/-innen zuversichtlich in die wirtschaftliche Zukunft ihres Betriebes, so waren es ein halbes Jahr später nur noch 70 Prozent.

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