Fachkräftemangel - Was steckt wirklich dahinter?
Immer wieder lesen wir in den Medien vom angeblich flächendeckenden, alle Branchen umfassenden „Fachkräftemangel“. Ganz so umfassend, wie das viele Unternehmen darstellen, ist der Mangel aber gar nicht. Wir erklären, was es mit dem Mythos Fachkräftemangel auf sich hat.
Was bedeutet Fachkräftemangel?
Von einem „echten“ Fachkräftemangel spricht man, wenn dauerhaft eine bedeutende Anzahl an Arbeitsplätzen, für die bestimmte Qualifikationen notwendig sind, nicht besetzt werden kann. Der Grund dafür: Es gibt keine entsprechend qualifizierten Fachkräfte. Dass es in Österreich grundsätzlich, flächendeckend und branchenübergreifend zu wenig Fachkräfte gäbe, ist allerdings nicht der Fall.
Einen vorübergehenden Fachkräfteengpass kann es geben - etwa für einzelne Regionen oder einzelne Qualifikationen betreffend. Nämlich dann, wenn es zum sogenannten „Strukturungleichgewicht“ zwischen Arbeitskräfteangebot und -nachfrage kommt.
Etwa in Bezug auf:
- Qualifikationen
vor allem in stark expandierenden Bereichen und in neuen Berufen, wenn nicht ausreichend oder nicht schnell genug Personen mit entsprechender Qualifikation ausgebildet werden.
- Regionen
Offene Stellen sind nicht immer dort frei, wo Fachkräfte einen Job suchen. Das bedeutet, dass das Angebot an offenen Stellen manchmal regional vom Angebot an Fach-/ beziehungsweise Arbeitskräften abweicht.
- Demografie
Wenn mehr Arbeitskräfte aufgrund von Pensionierung einen bestimmten Bereich verlassen als nachfolgen. Das ist allerdings langfristig vorhersehbar und könnte von Unternehmen und Ausbildungseinrichtungen geplant werden. Die Anzahl an Betrieben, die Ausbildungs- und Lehrstellen anbieten, sinkt jedoch laufend. - Attraktivität einer Branche und Entlohnung
Oft wären grundsätzlich genügend Personen mit bestimmten Qualifikationen vorhanden, die sich aber aufgrund negativer Bedingungen oder unzureichender Entlohnung in andere Bereiche umorientieren und der Branche dadurch nicht mehr zur Verfügung stehen.
Sind Fachkräftemangel und Arbeitskräftemangel dasselbe?
Das Schlagwort „Fachkräftemangel“ muss derzeit für einiges herhalten. In vielen Bereichen werden allerdings gar keine Fachkräfte gesucht: Rund 40 Prozent der derzeit offenen Stellen setzen keinen Abschluss oder maximal einen Pflichtschulabschluss voraus. Oft wird der Begriff fälschlich synonym für Arbeitskräfte- oder Personalmangel verwendet.
Potenzial bleibt ungenutzt
Von einem generellen massiven Arbeitskräftemangel, wie er von Unternehmer/-innenseite beklagt wird, sind wir weit entfernt. Im Jahresdurchschnitt 2022 gab es rund 333.000 Arbeitssuchende. Hinzu kommt noch die sogenannte „Stille Reserve“: Menschen, die einen Arbeitswunsch haben, aber aus verschiedenen Gründe derzeit nicht auf Arbeitssuche sind.
Im dritten Quartal 2022 zählten 71.200 Personen zur stillen Reserve in Österreich (Stille Reserve: Chance für den Arbeitsmarkt - A&W Blog)
Das Problem mit den „Mangelberufen“
Derzeit werden in Österreich vom Gesetzgeber alle Berufe als Mangelberufe klassifiziert, in denen auf eine offene Stelle weniger als eineinhalb Arbeitslose kommen. Für Personen aus Nicht-EU-Staaten, die sich auf solche Mangelberufe bewerben, gelten erleichterte Zuzugsbestimmungen.
Das Problem daran: Anstatt die eigenen Arbeitsbedingungen und die Entlohnung in diesen Berufen verbessern zu müssen, wird den Unternehmen so ermöglicht, auf weiteres Personal aus Drittstaaten zurückgreifen zu können. Das führt auch zu hohen Abhängigkeiten dieser Beschäftigten von den jeweiligen Arbeitgebern und verfestigt so schlechte Arbeitsbedingungen in der Branche.
Warum wird trotz angeblichem „Mangel“ nicht besser bezahlt?
Entsprechend des Prinzips „Angebot und Nachfrage regulieren den Preis“ müssten die Löhne und Gehälter für „Mangelberufe“ eigentlich stark steigen. In vielen betroffenen Branchen sind aber die Unternehmen genau dazu nicht bereit.
Arbeitskräfteknappheit hat auch positive Aspekte!
Für die Arbeitnehmer/-innen kann Arbeitskräfteknappheit positive Chancen bieten:
- bessere Verteilung der Machverhältnisse
- bessere Verhandlungspositionen
- möglicher Strukturwandel in Richtung besserer Arbeits- und Entlohnungsbedingungen
Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik ist es, diesen positiven Strukturwandel einzuleiten. Damit Arbeitssuchende in jene Bereiche vermittelt werden, in denen gute Arbeitsbedingungen herrschen sowie nachhaltig und gut entlohnt wird.