Schulsystem verbessern
Frühkindliche Bildung als Grundstein für echte Chancengleichheit
Die Individualisierung der Lebensstile, veränderte Familienstrukturen, die Berufstätigkeit der Eltern – insbesondere die höhere Frauenerwerbstätigkeit, Migration und viele andere Faktoren steigern die gesellschaftlichen Anforderungen an die Schule. Diesen wird die halbtägige Schule immer weniger gerecht – darin sind sich Lernpsychologie und Gehirnforschung einig. Die AK fordert daher die Ganztagesschulen als Standardform für alle 6 bis 14-Jährigen.
Pauk-Vormittage - überfüllt mit dichten Stundentafeln, wo die Gegenstände in der Regel im 50-Minutentakt wechseln und wo aufgrund der Stofffülle reine Wissensvermittlung im Vordergrund steht - hemmen den Lernerfolg vieler Schüler/-innen.
An der Halbtagsschulform halten Österreich und Deutschland weiterhin fest, während international die Ganztagsschule längst zur Normalität wurde.
Für individualisierten Unterricht und andere, kindgerechte Lernformen, für individuelles, selbständiges, kreatives, fächerübergreifendes oder auch für das immer wichtigere soziale Lernen fehlt der Halbtagsschule die Zeit. Diese gewinnt man, indem man die Schule ausdehnt, also die Ganztagsschule einführt. Dieses Zeitplus schafft die Voraussetzung für ein anderes Lernen. "Schulübung statt Hausübung" lautet die Devise, Hausübungen werden gemeinsam in der Schule ausgearbeitet und geübt.
In einer guten Ganztagsschule gibt es ein pädagogisches Konzept, das Vor- und Nachmittag ganzheitlich verbindet. Die Unterrichtszeiten werden nicht ausgeweitet, sondern altersgerecht über den Tag verteilt. In Lern- und Förderphasen wird geübt, vertieft, wiederholt. Es gibt Angebote zum Abbau von Lerndefiziten aber auch spezielle Angebote für besondere Begabungen – individuell maßgeschneidert. Dazwischen ist Zeit für Sport, Musik, künstlerisches oder handwerkliches Gestalten und für das Miteinander reden und spielen.
Beispiele für diese Form der Ganztagsschule finden sich in Oberösterreich bereits im öffentlichen Volksschul- und Mittelschulbereich und an Gymnasien, wie zum Beispiel:
In der "guten Ganztagsschule" wird der Tagesablauf den Leistungskurven und Bedürfnissen der Kinder angepasst. Starre Stunden-, Gruppen- und Raumkorsetts werden – je nach Anliegen und Bedarf – flexibel aufgeweicht. So kann fächerübergreifend, ganzheitlich, projektbezogen gelernt werden. Individualisierter Unterricht und individuelle Förderung sind Prinzip. Selektion und Leistungsgruppen haben ausgedient – im Vordergrund stehen, zeitlich begrenzte Fördergruppen und Spezialkurse, Sprachprogramme und anderes mehr.
Die gute Ganztagsschule ist eine kooperative Schule: es kooperieren die Lehrer/-innen, Hortpädagogen/-innen, die Freizeitpädagogen/-innen, Sozialarbeiter/-innen, (Schul-)Psychologen/-innen und (Schul-)Mediziner/-innen. Es werden Kooperationsnetze mit Sport-, Kultur-, Freizeitvereinen, mit schulexternen Einrichtungen und auch Betrieben gespannt. Kooperiert wird vor allem auch mit den Eltern, die sich verstärkt in den Schulprozess einbringen können.
Die gute Ganztagsschule ist nicht nur Lernort, sondern auch Lebensraum. Dafür sorgen helle, freundliche Räume. Alle sollen sich wohl fühlen: die Schüler/-innen, die Lehrer/-innen, die Eltern, ... Größe, Anordnung und Einrichtung der Räume sind auf das pädagogische Konzept abgestimmt: neben Lern- und Arbeitsräumen, Labors und Bibliothek gibt es Hausaufgabenbereiche, Rückzugsnischen, Kreativitätsräume sowie hochwertige Sport- und Freizeitanlagen. Moderne Technologie ist wesentlicher Bestandteil der räumlichen Infrastruktur.
Die gute Ganztagsschule unterstützt die Eltern bzw. Familien: Hausaufgaben werden in der Schule erledigt. Die Anwesenheitspflicht erstreckt sich auf die Kernzeit von circa 8 bis 16 Uhr. Berufstätige Eltern können ihre Kinder vielerorts bereits ab 7 Uhr zum Schulfrühstück bringen. Es gibt eine gesunde Jause und einen warmen Mittagstisch. Wichtig: Eine gute Ganztagsschule ist aus unserer Sicht für die Eltern natürlich gebührenfrei!
Von der guten Ganztagsschule profitieren alle: vor allem Kinder mit Lern- und Motivationsdefiziten, Kinder mit besonderen Begabungen, Einzelkinder, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit Herkunftsdefiziten, alleinerziehende Eltern und berufstätige Eltern.
Das Land Oberösterreich hält in Bezug auf Ganztagsschulen vorrangig am Konzept „Halbtagsschule plus Nachmittagsbetreuung“ fest. So erfolgte in den letzten Jahren durchaus ein deutlicher Zuwachs an nachmittäglichen Angeboten. Anzumerken ist aber, dass die Steigerungen des Angebotes in den meisten anderen Bundesländern relativ höher ausfielen.
Lediglich knapp über 1 Prozent der 6- bis 14-Jährigen werden in Oberösterreich in „echten“ Ganztagsschulen (= mit auf Vor- und Nachmittag verteiltem Unterricht und dazwischen gelegten Lern- und Freizeitphasen) unterrichtet. Oft betreffen die verschränkten Angebote jeweils nur einzelne Klassen.
Von der Vision einer guten Ganztagsschule ist Oberösterreich also nach wie vor weit entfernt. Das liegt auch daran, dass Eltern bisher nur wenig über die Qualitätspotentiale einer guten Ganztagsschule informiert wurden.
Um eine gute Ganztagsschule in Österreich einzuführen, braucht es den ernsthaften politischen Willen dazu. Dafür müssen sich allerdings die Entscheidungsträger/-innen vom Konzept „Halbtagsschule plus Nachmittagsbetreuung“ lösen und vom Konzept „gute Ganztagsschule“ überzeugt sein.
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